Wenn ich die Vögel höre... - Gedanken zum Elsental
Wenn ich die Vögel am Morgen im Elsental höre, scheint mir die Zeit stille zu stehen. Die Vögel singen in diesem Tal schon seit hunderten von Jahren und sie werden aller Wahrscheinlichkeit nach auch weiter singen. Die Bäche werden weiter plätschern und das wunderschöne Spiel von Licht und Schatten wird weiter zu der besonderen Elsental-Atmosphäre beitragen. Welche Menschen haben früher im Elsental gelebt, die Weiden gemäht die Bäume geschnitten und gefällt, Häuschen gebaut und hier geschafft und gewirkt? Das habe ich mich schon öfters gefragt.
Vor ein paar Jahren habe ich Heide Mende-Kurz kennen gelernt. Sie sprach mich an und sagte mit tiefer Stimme: „Ich kenne Sie“. Ich kannte die Dame aus diesem Leben nicht, aber wir kamen darauf, dass ich im Elsental arbeite und lebe und so hatten wir eine gemeinsame Verbindung. Sie konnte mir viel aus den EIsentaler Jahren vor dem Krieg erzählen:
Heides Vater, Paul Kurz, hatte das Elsental 1923 gekauft. Er war ein Wahrheitssucher und arbeitete als Redakteur beim Schwäbischen Tagblatt. Mit seiner Frau Renate hatte er 6 Kinder. Immer wenn ein neues Kind auf die Welt kam, wurde das Haus ein wenig erweitert und angebaut. Seine Frau kam aus Petersburg, war in Jena aufgewachsen und durchdrungen vom Idealismus der Weimarer Goethezeit. Sie selbst war ausgebildet in Gartenbau und Tierhaltung. Das Elsental hieß das „Gütle“. Es wurde gegärtnert, es wurden Schafe gehalten und dazu das untere Haus als Schafstall gebaut. Die eigene Schafwolle wurde gesponnen und es wurde gewebt oder gestrickt.
Allen Elsentalern, die die Jugendfarm kennen, tönt das irgendwie bekannt…, aber die Geschichte vonHeide geht noch weiter:
Die Familie Kurz pflegte ein offenes Haus. Es waren oft Bauern aus der Umgebung eingeladen. Auslöser war die von Paul Kurz gestaltete Sonntagsausgabe des Schwäbischen Tagblatts. An Tapeziertischen saßen alle beim Essen und haben sich gegenseitig Gedichte vorgetragen.
Es gab auch einen regen Austausch zu weltanschaulichen Themen. So trafen sich zu Gesprächskreisen hier im Elsental der Christengemeinschaftspriester Emil Bock, Pfarrer Dauer (dessen Schwiegersohn Jörg Zink später die Jugendfarm Möhringen mitbegründete) und Tusk aus der Jugendbewegung (Eberhard Koebel, 1907-1955 in der Jugendbewegung unter seinem Namen Tusk „der Deutsche“ bekannt, Gründer der deutschen Jungenschaft, Autor mehrer Fahrtenlieder, u.a. „Über meiner Heimat Frühling“).
Das Leben im Elsental war geprägt von Weltoffenheit, vielen Kindern, der Natur und verschiedenen Tieren. Heide beschreibt auch, dass es im Elsental immer Platz für „schräge Vögel“ gab – für Außenseiter. Sie wurden einbezogen, waren mit am Tisch – und es wurde viel gesungen.
Diese Zeit endete im Krieg. Als schliesslich ein Aufklärungsflugzeug bei einem Großangriff auf Stuttgart eine Leuchtrakete abwarf, traf diese Rakete das Wohnhaus der Familie, unser sogenanntes Oberes Haus, und es brannte aus. Die Famile Kurz musste ausziehen. Mutter Kurz hat damals wohl gesagt: „Jetzt ist Raum für Neues.“
Nach dem Krieg, in der allgemeinen großen Wohnungsnot wurde das obere Haus notdürftig renoviert und vermietet. Der alte Schafstall, das heutige alte Farmhaus oder ,,untere Haus“ wurde ein bisschen isoliert und diente ebenfalls als Wohnhäuschen. Bei Renovierungen fanden wir
Zeitungspapier aus den frühen 50er Jahren in Schichten übereinander geklebt und als Isoliermaterial verbaut.
1957 kamen Thyra und Edgar ins Elsental und lebten dort bis 1976 eben in diesem Schafstall. Unser Elsental hat wohl schon immer Menschen angezogen, die sich mit ähnlichen Impulsen verbinden können. Vielleicht gehören diese Impulse nicht nur zu den Menschen sondern auch zum Elsental, zum kleinen Bach, zu Licht und Schatten, zu den Vögel – den Spatzen, die es von den Dächern pfeifen…