Flyer und Pamphlete
So gab es aber auch Kritik von beiden Seiten:
Die einen sagten: „das sind ja chaotische Zustände auf diesen Jugendfarmen. Wie sieht das denn aus..?“
Die anderen machten den Vorwurf, dass auf einer Jugendfarm den Kindern eine heile Welt vorgegaukelt würde.
So entstanden einige der ersten Pamphlete und Flyer unter dem Rechtfertigungdruck gegenüber der einen wie der anderen Seite.
Die Heile Welt – so lautete der eine Vorwurf
Viele der neu entstehenden Abenteuerspielplätze und Kinderläden waren geprägt von links-orientierten, progressiven Kräften. Von dieser Seite kamen Anwürfe, dass im Elsental die Kinder in Herrenmanier auf weißen Pferden durch den Wald ritten -man den Heranwachsenden eine heile Welt vorgaukele.
Thyra schrieb dazu das folgende Pamphlet:
„Zu dem Vorwurf die Jugendfarmer versuchten,
den Kindern eine „heile Welt“ vorzugaukeln, ist zu
sagen:
Um Kraft, Güte und Selbständigkeit zu gewinnen
für das schwere Leben, das auf jeden zukommt,
braucht man in der Kindheit und Jugend eine
Welt, so heill es nur eben geht, Eine Welt voll
Freiheit, Vertrauen, Wärme und Heiterkeit in
einer noch leidlich ursprünglichen Umgebung!
Und alle einsichtigen Erwachsenen haben die
PFLICHT, DEN VERSUCH zu machen, den ihnen
anvertrauten jungen Menschen diesen soliden
Grund zu schaffen!
Da wir aber alle mit Fehlern und Schwächen
pehaftet sind, ist es leider nicht möglich, diese
„heile Welt“ zu Wege zu bringen
Die VERPFLICHTUNG zu dem VERSUCH aber fühlen
wir stark. Wir bemühen uns in der Form
JUGENDFARM.
Dazu gehört, dass wir den Kindern nicht Missgunst
Verdächtigungen, Machtgier und Misstrauen
vormachen, sondern einander in Vertrauen und
Achtung vor der Bemühung des anderen
begegnen. „
Chaotische Zustände -so lauteten andere Vorwürfe
Die Jugendfarm war in den Anfängen matschig, dreckig, unfertig, wild und wenig perfekt. Viele Kinder und Jugendliche fühlten sich dadurch stark
angeregt: „auf meinen Einsatz kommt es an, hier werde ich gebraucht, hier kann ich was bewegen!“
Die bürgerlichen Besucher und Eltern, von denen es in den 70er Jahren noch weit mehr gab als heute, fühlten sich von der Farm irritiert. Zur bürgerlichen, konventionellen Welt hatte Thyra zeitlebens ein schwieriges Verhältnis.
„Sie würden alles ganz anders machen? Bitte
sehr- so fangen Sie an mit einer weiteren
Jugendfarm oder Ähnlichem!!!
Hier wird seit Jahren freiwillig geschafft, getobt
gebaut, geritten, gespielt, im Umgang mit
Elementarem, mit Wasser, Erde, Feuer, Tieren,
Werkzeug und miteinander wird
Alzumenschliches abgebaut und das Menschsein
aufgebaut.“
Dieses Plakat war ihre Form mit der ausgesprochenen oder unausgesprochenen Kritik mancher Besucher umzugehen. Sie hatte den Text mit ihrer großen Schrift querformatig auf eine Pappe geschrieben und vor die Futterkammmer an zentraler Stelle aufgehängt.
Das Saustallpapier
Thyra und Edgar waren immer im Dialog. Die Flyer und Pamphlete sind aus diesen Gesprächen entstanden, wobei Thyras Worte stets radikaler, unangepasster waren.
Eines ihrer Lieblingspamphlete war das ,Saustallpapier“. Auch hier setzte sie ihre Impulse gegenüber der konventionellen Weltsicht; und ihre Wortwahl ist nicht gerade zimperlich:
JUGENDFARMEN SIND .. THERAPEUTISCHER RAUM .. UND SOZIALES ÜBUNGSFELD..
MANCHE ANWOHNER, MANCHE ÄMTER UND VEREINE, POLIZISTEN GAR, HÖREN
DIES NICHT GERNE. – SIE SEHEN:
„AUSSCHREITUNGEN! EXZESSE! CHAOTISCHE ZUSTÄNDE! SAUSTALL! -SCHLIESSEN.
VERBIETEN!“
So etwa lautet ihre Devise
MAN FASST SICH AN DEN KOPF: KÖNNEN ERWACHSENE, „MÜNDIGE BÜRGER‘
NIRKLICH VERKENNEN, DASS ETWAIGE MÄNGEL AUF SPIELPLÄTZEN UNC
JUGENDFARMEN ETC. DOCH EIN SIGNAL SIND FÜR B E S S E R E AUSSTATTUNG
. B. GUTE ZÄUNE, FESTE TORE, EINE VERSCHLIESSBARE SCHEUNE FÜF
VIELFÄLTIGE TÄTIGKEITEN UNTER DACH, KLEINTIERHALTUNG
JSW. USW., UND FÜR BESSERE BETREUNG VOR ALLEM-
UND GERADE NICHT FÜR SCHLIESSUNG DER EINRICHTUNG.
WIR SCHAFFEN DIE STRASSEN JA AUCH NICHT AB, OBWOHL DIE
VERKEHRSZUSTÄNDE OFT CHAOTISCH BIS KRIMINELL SIND
WAS JETZT UND HEUTE FÜR DIE HERANWACHSENDEN MENSCHEN GETAN WERDEN MUSS
IST GENAUSO NOTWENDIG WIE STRASSEN!
GOTT SEI DANK, NOCH ÜBERWIEGEN DIE EINSICHTIGEN, DIE STURM UND DRANG
DER EIGENEN JUGEND NICHT VERGESSEN HABEN UND HELFEN WOLLEN, DEN
VERGIFTENDEN SCHEINABENTEUERN VON KINO UND FERNSEHEN DIE
MÖGLICHKEIT ZU ECHTEN, EIGENEN ABENTEUERN ENTGEGENZUSTELLEN
DIE GESUNDEN WIE BEHINDERTEN DEN „THERAPEUTISCHEN RAUM“ SCHAFFEN
SOLLEN.
In dem , Saustallpapier“ kann man auch herauslesen, wie mühsam das Farmern in dieser ersten Zeit war.
In den frühen 8Oer Jahren sind einmal alle unsere Pferde in der Nacht abgehauen und wurden von der Polizei auf der Autobahn eingesammelt – ein Horror! Die Zäune und Tore waren einfach nicht ausreichend.
Ein andermal war die Eselstute Mine verschwunden und ist erst nach 3 Tagen und zwei Nächten wieder aufgetaucht. Sie war in einem der Gärten oberhalb der Farm eingesperrt. Ich erinnere mich, wie wir nachts mit Taschenlampen die ,,Mine“ gesucht haben. Unvergessliche Abenteuer.
Der Reitplatz war über viele Jahre ein tiefer Sumpf. Manchmal stand man bis zu den Waden im Matsch. Dann wurde wieder Sägemehl angeliefert. Pferde und Menschen freuten sich eine zeitlang über den trockenen Platz.
So gab es immer wieder Pionierarbeit zu leisten. Drainagen zu ziehen -schließlich mit Baufirmen zu verhandeln und die erste komplette Reitplatzsanierung durchführen waren Erfordernisse, die viel Kraft kosteten.